Im Schatten des Krieges

20 Jun 2022

Zuflucht am Rande Europas: Portugal

Albert von Brunn über »Zuflucht am Rande Europas: Portugal 1933-1945« von Christa Heinrich und Irene Flunser Pimentel (Übersetzt von Sarita Brandt und Renate Heß)

»Lissabon, der einzige freie und neutrale Hafen in Europa, ist zum Treffpunkt und zur Wartehalle all derer geworden, die vor Hitler fliehen«, schrieb Erika Mann  1940 aus der portugiesischen Hauptstadt (1). «Denn weder eine Weltausstellung noch Festspiele haben die Menschen in diesen Straßen angelockt. Verbannte sind es, Heimatlose, die hier versammelt sind, ihre Zahl schwankt, aber immer sind es Tausende ohne Gepäck, ohne Geld, oft ohne Ausweispapiere kommen die Flüchtlinge hier an – und was können sie hier tun? Nur eines – bleiben, solange, wie man es ihnen erlaubt. Nun warten – auf was? Auf das rettende Schiff, das sie fortbringen soll, irgendwohin, nur weg, weiter weg vom Feind, der ihnen auf den Fersen war, wo immer sie auch hinkamen. Er hat sie durch ganz Europa gejagt, und nun warten sie auf das Rettungsschiff«.

Portugal ist in der Geschichte des europäischen Exils der Dreißiger und Vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts ein noch wenig bekanntes Kapitel. Die Autorinnen des vorliegenden Bandes versuchen, diese Lücke zu schließen. In zehn Kapiteln werden die verschiedenen Aspekte dieses Transitlandes am Rande Europas beleuchtet – der Estado Novo, die Diktatur Salazars mit ihrer Neutralitätspolitik, Portugal als Spyland (Douglas Wheeler), der Wirtschaftskrieg um das begehrte Wolfram, der Alltag der Flüchtenden, die in überfüllten Hotels und Pensionen logierten, improvisierte Hochzeiten und schließlich die rettenden Schiffe – Schaukelkähne wie die portugiesischen Nyassa und Serpa Pinto, die amerikanischen Excalibur und Excambion oder die brasilianische Siqueira Campos – oft die letzte Hoffnung auf ein Überleben in der Neuen Welt.

Ein umfangreiches, teilweise unbekanntes Fotomaterial ergänzt diese hochinteressante Dokumentation über den Fluchtpunkt Portugal der Jahre 1933-1945, der im Lande selbst nur wenige Spuren hinterließ.

Albert von Brunn (Zürich, 20.06.2022)

 

Christa Heinrich und Irene Flumser Pimentel
Zuflucht am Rande Europas: Portugal 1933–1945.
Aus dem Portugiesischen von Sarita Brandt und Renate Heß.
Berlin: Hentrich und Hentrich Verlag, 2022. 261 S.

(1)Mann, Erika: »In Lissabon gestrandet« in: Im Fluchtgepäck die Sprache: Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1991, S. 148.