Tony Tcheka: Guinea

22 Apr 2020

Wann ist zuletzt etwas aus Guinea-Bissau ins deutsche übersetzt worden? Länger nicht mehr, soviel ist sicher. Nach meiner Erinnerung mehr als 10 Jahre. 2009 erschienen in VERSschmuggel/Contrabando de Versos auch diverse Gedichte von Tony Tcheka in der Nachdichtung von Ulrike Draesner. Nun widmet sich ein kleiner Band im Hochroth-Verlag allein der Poesie Tony Tchekas: Guinea, in der Übersetzung von Niki Graça – die beim Versschmuggel seinerzeit auch als Dolmetscherin mitwirkte. Auch dieser Band hat nur 48 Seiten, enthält neun Gedichte, dafür ist die Sammlung zweisprachig und in einem Fall sogar dreisprachig: Kreol, Portugiesisch und Deutsch.

Tony Tcheka ist ein besonderer Dichter, denn wie schon das erste Gedicht »Schweigen« evoziert, macht er gern eher weniger Worte, doch:

kaum

geboren

machte ich mich frei

und schrie

Als Journalist ist er Gründungsmitglied des Guineischen Journalistenverband, war Radiosprecher und Korrespondent aller möglichen Nachrichtenagenturen und Medien in aller Welt; nicht zuletzt auch Aktivist für die unterschiedlichsten Menschenrechtsorganisationen.

Womöglich kann man sich als guineischer Dichter, als Angehöriger einer kleinen Nation, die sich immerhin 1973, noch vor der Nelkenrevolution, aus dem portugiesischen Kolonialismus freikämpfte, seitdem aber selten zur Ruhe kam, nicht auf blumige Worte zurückziehen. Bei Tcheka sind Blumen eher

 …

verwelkt

vergangen

wie

die Sahel-Blume

 

die in »Globalisiert am Rand« zwar weiterlebt, aber

 

in den

Ketten

neuer

Sklaven-

Schiffe

 

Typisch für den auf portugiesisch schreibenden, aber im Fall von Tony Tcheka, auf Kreol denkenden Dichter ist immer wieder auch der gebrochene Bezug zum Herkunftsland seiner Schriftsprache, der früheren Kolonialmacht, die sich selbst hartnäckig als »Metrópole« bezeichnete, was im Deutschen gern missverständlich als Mutterland übersetzt wird. Diaspora (so ein weiterer Titel eines Gedichts) ist beständiges Thema, sowohl geografisch als auch in Bezug auf die Sprache. Der »Luso-Sprache« (mein »Arbeitswerkzeug«, wie es in dem Gedicht heißt) stellt er »Kreol« gegenüber, das in dem Band gleich drei Mal übersetzt erscheint. Vom Kreol ins Portugiesische (vom Dichter selbst übersetzt), sowie von der Übersetzerin aus der portugiesischen Version, sowie noch einmal vom kreolischen Original aus ins Deutsche übersetzt. Wie es dazu kam erläutert Niki Graça im Nachwort.

Sprache als Werkzeug unter der eher weniger lustigen Realität der Diaspora blitzen auf im nur vermeintlich schelmenhaften »Tchico Hat-Hat«

 

Unter Stürzen

und Purzelbäumen

ritt Tchiko auf der Welle mit

- kam ins Weißen-Land …

strandete in den Gassen beim Rossio

 

Er eröffnete ein bureau d’affairs, ein Luftgeschäft

… dort verkauft er Geschichten, manche sind wahr, manche nicht

 

Der schmale Band ist eine spannende Lektüre, die zunächst - nicht zuletzt wegen der ostentativen Wortkargheit - etwas sperrig erscheint, dann aber, sobald sich beim Lesen die Erkenntnis durchsetzt, dass hier tatsächlich kein Wort zu viel oder zufällig ist, und die Umbrüche kein grafisches Spielchen sind, sondern verlangen, dass wenn es sein muss ein Wort und das nächste Wort mal gehaucht, mal gehämmert wird, einen starken Sog entwickelt, und selten, aber dann doch hin und wieder in einem weichen Vers ausklingt, dem dennoch immer ein Quantum Traurigkeit zugrunde liegt.

(mk)

Tony Tcheka
Guinea
Aus dem Portugiesischen und dem Kreol von Niki Graça
48 Seiten, Verlag Hochroth, Berlin 2020

außerdem in:

VERSschmuggel / Contrabando de Versos
Deutsch- und portugiesischsprachige Poesie aus drei Kontinenten.
205 Seiten + 2 CDs, Wunderhorn / Ed. 34 / Sextante 2009