Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer

27 Mär 2019

»Wenn wir im Schlaf davon träumen, zu schlafen, wachen wir dann in einer helleren Wirklichkeit auf?« heißt es an einer Stelle in dem Roman »Eine allgemeine Theorie des Vergessens«. Nun hat José Eduardo Agualusa ein ganzes Buch über Träume geschrieben.

Daniel Benchimol, Journalist aus Huambo und Spezialist für Verlorenes, findet im Meer eine Kamera. Als er die Speicherkarte ausliest, um die Besitzerin ausfindig zu machen, sieht er Bilder, die ihm vertraut erscheinen. Die Frau seiner Träume? Er reist der Frau hinterher nach Südafrika und verliebt sich.

Zugleich wird daheim in Luanda Benchimols Tochter verhaftet. Mit einer Gruppe Aktivisten hatte sie eine internationale Konferenz zur Bekämpfung von Korruption gestürmt und den Präsidenten mit Blutgeld beworfen. Im Gefängnis treten die Jugendlichen in Hungerstreik, wie in der Wirklichkeit im Jahr 2015 die Gefangenen um den Rapper Luaty Beirão, denen nach der Lektüre eines Buchs über gewaltlosen Widerstand die Vorbereitung eines Staatsstreiches vorgeworfen wurde - eine gefährliche Posse, die seinerzeit durch die Presse ging. Den Jugendlichen von 2015 ist Agualusas Roman gewidmet.

Bemerkenswert sei damals gewesen, sagte José Eduardo Agualusa bei der ersten Vorstellung der deutschen Übersetzung auf der Leipziger Buchmesse, dass vor allem die jungen Leute Angolas sich mit den Aktivisten solidarisiert hätten, während die »Alten«, viele davon Veteranen des Kampfs für die Unabhängigkeit, merkwürdig still geblieben seien - als hätten sie das Träumen für eine bessere Welt aufgegeben.

In »Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer« gibt es einen Hotelier namens Hossi - der sich mit Benchimol als höchst unglaubwürdiger Erzähler abwechselt - der das Träumen verlernt hat, nachdem er in der Guerilla gekämpft hatte und zwei Mal vom Blitz getroffen wurde (die wirklich schrecklichen Dinge erzählt er nicht). Hossis Eigenschaft ist, dass er anstatt zu träumen, in Träumen anderer vorkommt.

Schließlich, soviel sei über das Ende des Romans durchaus verraten, bringen die Träume der Leute eine ganze Regierung zum Einsturz. Eine Allegorie, die hier konkrete Gestalt annimmt.

»Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer« ist ein herrlich verschachtelter, poetischer Versuch über Träume auf mehreren Ebenen:Träume als Sehnsucht, Träume als Erinnerung, als ein Weg der Verarbeitung des Erlebten, durchaus auch als Rätsel; aber vor allem ein Buch über Träume als Utopie, über die Notwendigkeit des politischen Traums. Über die politische Notwendigkeit des Traums auch.

José Eduardo Agualusa:
Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer
A sociedade dos sonhadores involuntários. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. C.H. Beck Verlag 2019.

Eine allgemeine Theorie des Vergessens.
Teoria geral do esquecimento. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. C.H. Beck Verlag 2017.