Zutaten für einen Bürgerkrieg

23 Okt 2018

von José Eduardo Agualusa*

Als 1975 in Angola der Bürgerkrieg ausbrach, war ich 15 Jahre alt. Die ersten Tage war ich eher aufgeregt als verängstigt. Wie die meisten Angolaner glaubte ich, dass Krieg zwar etwas Schlimmes, dieser aber nur eine Episode sein würde, die schnell vorbei wäre, und wir anschließend herrliche Tage erleben würden, in einem unabhängigen, gerechteren Land.

Ich weiß noch genau, wie wir tanzten, als Mörsergranaten explodierten und Leuchtspurmunition über den Himmel zog. Die jungen Anhänger der unterschiedlichsten Bewegungen verließen die Partys, um in den Krieg zu ziehen und kamen frühmorgens zurück, um ihr Bier auszutrinken, als gehörten die Kämpfe zur Feier dazu.

Doch bald war die Euphorie weg, und das Schießen ging weiter. Am 22. Februar 2002 schließlich kam der Anführer der Guerilla, Jonas Savimbi, ums Leben. Die Kugel, die ihn tötete, war die letzte, die abgefeuert wurde. Da war Angola bereits zerstört. 

Ich kann mir für ein Land keine größere Tragödie vorstellen als einen Bürgerkrieg. Ein Bürgerkrieg beginnt immer schon lange vor dem ersten Schuss, und seine Folgen erstrecken sich über Jahrzehnte noch lang über den letzten Toten hinaus.

Im Rezept für den Bürgerkrieg steht erst einmal die Herstellung einer Stimmung der Ausgrenzung. Die Positionen der gegenüberstehenden Bewegungen sind im Allgemeinen nicht neu. Neu sind die Aggressivität, mit der sie vertreten werden und die Überzeugung, dass keine Verständigung mehr möglich ist zwischen den unterschiedlichen Projekten. Auf einmal streiten sich welche, die ein Leben lang Freunde waren. Familien entzweien sich. Mütter verbieten den Kindern bei Tisch, sich über Politik zu unterhalten. Messianische Anführer treten auf, schwingen Hassreden und manchmal auch Schusswaffen, bedienen sich dabei des uralten Zorns der Parteien und sozialer Verwerfungen. Bald kommt es zu ersten politisch motivierten Anschlägen und Attentaten. Der Staat erodiert und verliert an Boden.

Oft ist die Kultur der Ausgrenzung, an der sich der Krieg entzündet, importiert und gehorcht Interessen und Strategien anderer Länder. So war es in Angola, wo die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion sich bekämpften, nicht allein durch die angolanischen Bürgerkriegsparteien, sondern auch mit südafrikanischen, kubanischen und zairischen Truppen sowie portugiesischen, englischen und amerikanischen Söldnern.

Ein Bürgerkrieg kann ein Land auslöschen, es von den Landkarte tilgen, wie Jugoslawien. In Serbien oder Kroatien unterwegs kann man manchmal heute noch Leuten begegnen, die sich als Jugoslawen verstehen: „Vor dem Krieg“, sagte mir einer dieser Vaterlandswaisen, „wusste ich nicht einmal, dass meine Familie serbisch oder meine Nachbarn womöglich Muslime waren. Wir waren Jugoslawen, sprachen dieselbe Sprache und unser Schicksal war ein gemeinsames.“

In dem, was Brasilien derzeit erlebt, lassen sich einige Zutaten für diese Art von Katastrophe finden. Das erste Opfer in solchen Zeiten ist immer der Menschenverstand. Doch ich möchte weiterhin glauben, dass  noch Platz ist für einen möglichst offenen Dialog, der es allen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften, die sich für Frieden und Demokratie einsetzen, erlaubt, sich zusammenzutun. Die nächsten Wochen werden wir eine Auseinandersetzung erleben zwischen denen, die Brücken bauen und denen, die Mauern errichten. Mir graut vor Brasilien, wenn die, die die Mauern errichten, gewinnen.

Brasilien, ein für seine Kultur, Lebensfreude und Freundlichkeit in der ganzen Welt angesehenes Land, darf nicht zulassen, dass sich der Hass weiter ausbreitet und triumphiert!


* Im Original erschienen am 13.10.2018 in der brasilianischen Tageszeitung O Globo. Übersetzung von Michael Kegler mit freundlicher Genehmigung des Autors.